Die Zellen unseres Körpers haben alle das gleiche Erbgut. Ihr Genom ist identisch, doch trotzdem unterscheiden sich die Zellen, denn ihre Gene sind unterschiedlich aktiv. Chemische Markierungen auf der DNA, etwa durch Methylierung oder Modifikation von Histonen, steuern die Aktivität der Gene und prägen ihre Zellidentität (Epigenetik). Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI) in Jena konnten basierend auf Methylierungsdaten von Menschenaffen zeigen, dass klassische sequenzbasierte Methoden der Phylogenetik auch auf den Bereich der Epigenomik übertragbar sind. Phylogenetische Bäume können korrekt rekonstruiert und Verwandtschaftsverhältnisse erklärt werden.
Als Abfolge bestimmter Basenpaarungen (Sequenz) ist in der DNA
unsere Erbinformation gespeichert. Diese wird weitgehend unverändert von
einer Generation an die nächste weitergegeben. Doch wie kann es sein,
dass sich die Zellen eines Menschen in Form und Funktion so massiv
unterscheiden, wie beispielsweise im Blut, den Nerven, der Haut oder im
Zahn, obwohl sie doch alle das gleiche Erbgut (Genom) besitzen? Hier
kommt die so genannte „Epigenetik“ ins Spiel. Damit sind vor allem
chemische Modifikationen unseres Genoms gemeint, die letztlich
beeinflussen, ob und wie eine Zelle auf ihr Erbgut zurückgreifen kann.
Das heißt, epigenetische Mechanismen legen fest, wann welches Gen
abgelesen oder stummgeschalten wird. Zu den wichtigsten epigenetischen
Modifikationen gehören die DNA-Methylierung und die Modifikation von
spezialisierten, genom-assoziierten Proteinen (Histonen). Derartige
Veränderungen werden auch als Epigenom bezeichnet. Im Gegensatz zum
Genom, kann sich das Epigenom rasch verändern und damit auf
Veränderungen (z.B. Umwelteinflüsse) reagieren. Die Untersuchung des
Epigenoms hat daher die Mechanismen im Fokus, die die Aktivität von
Genen steuern, ohne die Basensequenz der DNA zu ändern.
Obwohl
die Erforschung des Epigenoms mehr und mehr an Bedeutung gewinnt, ist
bisher wenig darüber bekannt, wie sich epigenetische Modifikationen über
längere Zeiträume hinweg verändern. Auch fehlt es bisher an
systematischen Untersuchungsstrategien. In Kooperation mit dem
Humangenetiker Prof. Steve Horvath der University of California, Los
Angeles, USA, haben Forscher des Jenaer Leibniz-Instituts für
Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) aus der Forschungsgruppe
„Bioinformatik für Alterungsprozesse“ und der Core Facility Life
Science Computing nachgewiesen, dass sich klassische phylogenetische
Methoden systematisch auch auf epigenetische Daten übertragen lassen.
Phylogenetische Stammbäume auf der Basis epigenetischer Daten
In
der Biologie werden seit mehr als 50 Jahren auf der Grundlage von
sequenzbasierten Methoden phylogenetische Stammbäume zur Rekonstruktion
der Evolutionsgeschichte und umfassenden Beschreibung von
Verwandtschaftsverhältnissen erstellt. „Bei der Verwendung von
epigenetischen Daten fragten wir uns, ob zum einen die darin enthaltenen
Informationen eine aussagekräftige evolutionäre Analyse gestatten und
zum anderen, ob die Signale über eine längere evolutionäre Distanz
hinweg überhaupt gut genug konserviert sind, um aus ihnen
phylogenetische Beziehungen richtig rekonstruieren zu können“, erläutert
Dr. Arne Sahm den Forschungsansatz.
„Um einen Einblick in die
Funktion einzelner Gene und ihrer Stoffwechselpfade zu bekommen,
verwendeten wir in der Vergangenheit verschiedene sequenzbasierte
Methoden, die wir nun systematisch auf die Ebene der DNA-Methylierung
übertrugen“, ergänzt Dr. Sahm, Erstautor der in „Molecular Biology and
Evolution“ veröffentlichten Studie. Die DNA-Methylierung ist eine
direkte chemische Veränderung von DNA-Basen, die in einem komplizierten
Prozess von spezialisierten Enzymen vorgenommen wird. Besonders
folgenreich sind Veränderungen im Startbereich von Genen: durch die
Methylierung kann die Aktivität eines Gens direkt gesteuert werden.
Epigenetik ermöglicht zuverlässigere Rekonstruktion von Abstammungsverhältnissen
Da
sich unsere nächsten Verwandten - die Schimpansen, Gorillas und
Orang-Utans - in Bezug auf ihr Genom nur geringfügig vom Menschen
unterscheiden, nutzten die Forscher für ihre Analysen einen Datensatz
von Blutproben von Menschenaffen. „Wir konnten zeigen, dass die
Rekonstruktion von phylogenetischen Bäumen auf der Basis von
DNA-Methylierungsdaten sehr gut funktioniert,“ berichtet Prof. Steve
Hoffmann, Forschungsgruppenleiter am FLI und Professor für Computational
Biology an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Wir waren
besonders überrascht, dass sich die Abstammungsverhältnisse der
Menschenaffen mit den epigenomischen Daten noch zuverlässiger
rekonstruieren lassen, als mit den genomischen. Da die Methylierung
durch Umweltfaktoren oder Krankheiten beeinflusst wird, war das so nicht
zu erwarten.“
DNA-Methylierung stark konserviert
Die
Forscher vom FLI konnten darüber hinaus nachweisen, dass sich die
DNA-Methylierung, zwischen den untersuchten Menschenaffen-Arten nur sehr
geringfügig unterscheidet. So sind Genomabschnitte, die im Menschen
stark methyliert sind, typischerweise auch in den Menschenaffen durch
die Modifikation verändert. Das Gleiche gilt für Teile des Erbguts, die
wenig oder gar nicht methyliert sind. Offenbar sind diese epigenomischen
Muster über Millionen von Jahren hinweg in der Evolution weitgehend
unverändert bestehen geblieben, d.h. stark konserviert. „Die Auflösung
der Konservierung ist dabei so hoch, dass sich zwei äquivalente
DNA-Bausteine verschiedener Menschenaffenarten hinsichtlich ihrer
Methylierung im Mittel stärker ähneln, als zwei direkt benachbarte
DNA-Bausteine in der gleichen Art", unterstreicht Prof. Hoffmann.
Einblicke in gewebespezifische phylogenetische Informationen
Anders
als das Genom, das in allen Zellen eines Individuums nahezu identisch
ist, kann das Epigenom gewebespezifische phylogenetische Informationen
widerspiegeln. Daher bieten Vergleiche zwischen verschiedenen Spezies
die Möglichkeit, Einblicke in die Evolution von Geweben und nicht nur
des gesamten Organismus zu gewinnen. Die Einbeziehung anderer
epigenetischer Daten, wie z.B. der Modifikationen von Histonen, könnten
hilfreich sein, um derartige Prozesse zukünftig besser zu beleuchten.
Potential für tiefere Einblicke in evolutionäre Unterschiede und Gemeinsamkeiten
„Die
Anwendung und Weiterentwicklung der von uns entwickelten Methoden
verspricht neue Einblicke in die Mechanismen der epigenetischen
Genregulation und in die Entstehung neuer Phänotypen, die auf diesen
Mechanismen beruhen,“ erklärt Dr. Sahm. Die Methoden könnten dabei
helfen, solche Teile des Erbguts zu identifizieren, die mit großer
Wahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle bei der Genregulation spielen,
weil sie sich über Millionen von Jahren kaum verändert haben. „Umgekehrt
können wir mit der beschriebenen Methode auch nach Abschnitten des
Epigenoms suchen, die sich in bestimmten Arten im Verlauf der Evolution
besonders schnell verändert haben, um zu untersuchen, wie diese
epigenetischen Veränderungen das Hervorbringen von Phänotypen
beeinflussen“.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.leibniz-fli.de/de/institut/oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilungen/forschung/detailpage/second-level-of-information-on-genome-epigenetic-data-have-enormous-potential-for-deeper-insights-into-evolutionary-differences-and-similarities
Quelle: Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI) (02/2022)
Publikation:
An
analysis of methylome evolution in primates. Sahm A, Koch P, Horvath S,
Hoffmann S. Mol Biol Evol. 2021, 38(11), 4700-4714. doi:
10.1093/molbev/msab189.
https://academic.oup.com/mbe/article/38/11/4700/6310173