Mehr als 20 Jahre nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms haben Forschende der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln zum ersten Mal das hochkomplexe Genom der Kartoffel komplett entschlüsselt. Diese technisch anspruchsvolle Studie, veröffentlicht in Nature Genetics, legt die biotechnologische Grundlage, um die Züchtung von robusteren Sorten zu beschleunigen.
Wenn man heute auf einem Wochenmarkt Kartoffeln kauft, ist es nicht
unwahrscheinlich, dass man mit einer Sorte nach Hause geht, die es schon
vor mehr als 100 Jahren auf unseren Märkten zu kaufen gab. Obwohl nicht
erst in den letzten Jahren traditionelle Kartoffelsorten beliebt sind,
zeigt das auch einen Mangel an Vielfalt unter den vorherrschenden
Kartoffelsorten. Neben fehlender Auswahl macht diese geringe Diversität
die Kartoffelpflanzen anfällig für Krankheiten. Besonders drastisch trat
das während der irischen Hungersnot in den 1840er Jahren auf, wo nahezu
die gesamte Kartoffelernte über mehrere Jahre hinweg noch im Boden
schlecht wurde und Millionen Menschen in Europa Hunger litten, nur weil
eine einzige Kartoffelsorte, die angebaut wurde, nicht resistent gegen
neu aufgetretene Knollenfäule war. Während der Grünen Revolution in den
1950er und 1960er Jahren gelang es Pflanzenzüchtern, die Erträge vieler
Grundnahrungsmittel wie Reis oder Weizen erheblich zu stabilisieren. Bei
der Kartoffel jedoch gab es bis heute keine vergleichbare Entwicklung,
und die Bemühungen, neue Sorten mit höheren Erträgen zu züchten, sind
bis heute weitgehend erfolglos geblieben.
Der Grund dafür ist
einfach, aber schwierig zu lösen. Anstatt je eine Kopie jedes Chromosoms
vom Vater und von der Mutter zu erben (wie es bei uns Menschen der Fall
ist), erbt die Kartoffel zwei Kopien jedes Chromosoms von jedem
Elternteil, so dass sie vier Kopien von jedem Chromosom besitzt. Vier
Kopien jedes Chromosoms bedeuten auch vier Kopien jedes Gens, was die
gezielte Erzeugung neuer Sorten, mit einer gewünschten Kombination
individueller Eigenschaften, sehr schwierig und zeitaufwändig macht. Und
genauso war die Rekonstruktion des Kartoffelgenoms aufgrund dieser
vielen Chromosomen-Kopien eine weitaus größere technische
Herausforderung als es beim menschlichen Genom der Fall war.
Forschende
um den deutschen Genetiker Korbinian Schneeberger konnten nun mit einem
einfachen, aber eleganten Trick diese seit langem bestehende Hürde
überwinden und das erste vollständige Genom der Kartoffel
zusammensetzen. Anstatt die vier oft sehr ähnlichen Chromosomenkopien
voneinander zu unterscheiden, umging Korbinian Schneeberger zusammen mit
Hequan Sun und weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses
Problem, indem sie die DNA nicht wie üblich aus dem Blattgewebe
entnahmen, sondern die Genome einzelner Pollenzellen analysierten. Im
Gegensatz zu anderen Zellen enthält jede Pollenzelle nur zwei Kopien
jedes Chromosoms und kann so die Rekonstruktion des Genoms erleichtern.
Das
Verständnis über die vollständige DNA-Sequenz der Kartoffel kann die
Züchtung erheblich erleichtern und ist bereits seit vielen Jahren ein
Ziel in der Pflanzenzüchtung. Mit diesen Informationen können Forschende
nun leichter Genvarianten identifizieren, die für erwünschte oder
unerwünschte Eigenschaften verantwortlich sind - ein erster Schritt, sie
in die Züchtung mit einzubeziehen oder auszuschließen.
Mit Blick
auf die Zukunft weist Prof. Schneeberger auf das Potenzial seiner
Arbeit: „Die Kartoffel wird weltweit immer mehr zum Bestandteil der
Grundernährung, selbst in asiatischen Ländern wie China, wo Reis das
traditionelle Grundnahrungsmittel ist, gewinnt die Kartoffel immer mehr
an Einfluss. Anhand dieser Studie können wir nun die genombasierte
Züchtung neuer Kartoffelsorten unterstützen, die produktiver und
widerstandsfähiger gegen den Klimawandel sind - dies könnte einen
enormen Einfluss auf die weltweite Ernährungssicherheit in den kommenden
Jahrzehnten haben."
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.mpipz.mpg.de/5429100/pr-potato-2022
Quelle: Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung (03/2022)
Publikation:
Hequan
Sun, Wen-Biao Jiao, Kristin Krause, José A. Campoy, Manish Goel, Kat
Folz-Donahue, Christian Kukat, Bruno Huettel and Korbinian Schneeberger
Chromosome-scale and haplotype-resolved genome assembly of a tetraploid potato cultivar
Nature Genetics, 3. März 2022
DOI: 10.1038/s41588-022-01015-0
URL: https://www.nature.com/articles/s41588-022-01015-0