Wie genau sehen die molekularen Interaktionen zwischen dem menschlichen Wirt und dem COVID-19 Virus aus? Auf welchen genetischen Unterschieden beruhen die verschiedenen Krankheitsverläufe? Und wie unterscheiden sich die noch neu entstehenden Virusvarianten in ihren Wirt-Virus-Interaktionen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat ein internationales Forscherteam eine systematische Kontaktkarte erstellt.
Die Kontaktkarte, die im Fachmagazin Nature Biotechnology veröffentlicht
wurde, umfasst mehr als 200 Protein-Protein-Kontakte, sogenannte
Proteininteraktionen. Das internationale Konsortium aus
Wissenschaftler:innen unter der Leitung von Pascal Falter-Braun,
Direktor am Helmholtz Munich Institute of Network Biology (INET) und
Professor für Mikroben-Wirts Interaktionen an der Fakultät für Biologie
der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München, bestand aus Teams
in Kanada, den USA, Frankreich, Spanien und Belgien.
Im Gegensatz
zu früheren groß angelegten Studien über Protein-Protein-Komplexe,
konnten jetzt die direkten Proteinkontakte zwischen Virus und Wirt genau
identifiziert werden. "Um die mechanistischen Verbindungen zwischen
Virus und Wirt wirklich zu verstehen, müssen wir wissen, wie die
einzelnen Teile zusammenpassen", sagt Frederick Roth, Professor am
Donnelly Centre der Universität Toronto und am Sinai Health (Toronto,
Kanada).
Bei einer genaueren Betrachtung dieser neu entdeckten
direkten Eiweiß-Verbindungen (oder "Contaktome") fand das Team Pfade von
Verbindungen zwischen viralen Proteinen und infektionsrelevanten
menschlichen Genen. So konnten sie beispielsweise Verbindungen zwischen
bestimmten SARS-CoV-2-Proteinen und menschlichen Proteinen aufspüren,
die von den Bereichen der Gene kodiert werden, die in anderen Studien
mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine schwere
COVID-19-Erkrankung in Verbindung gebracht wurden. Sie fanden auch
Verbindungen zwischen den viralen Proteinen und menschlichen Genen, die
unter anderem an Stoffwechselstörungen wie Adipositas und Diabetes
beteiligt sind.
„Wir wissen bereits, dass genetische Unterschiede
beim Menschen eine wesentliche Rolle bei Verlauf und Schwere einer
COVID-19-Erkrankung haben“, sagt Pascal Falter-Braun, und ergänzt
weiter: „Dank der Identifizierung der molekularen Kontaktpunkte ist es
nun möglich, die zugrundeliegenden Mechanismen detaillierter zu
untersuchen.“
Erste Erkenntnisse zeigen, dass wichtige
Entzündungssignalwege direkt durch das Virus aktiviert werden. Diese
Kontakte könnten dazu beitragen, die überschießende Entzündungsreaktion
zu erklären, die bei schweren Fällen von COVID-19 eine große Rolle
spielt.
Die Protein-Protein-Kontakte haben aber nicht nur
Auswirkungen auf die menschlichen Zellen und das menschliche
Immunsystem. Bestimmte Verbindungen beeinflussen auch weitreichend
SARS-CoV-2, etwa die Vermehrung des Virus.
Laut Falter-Braun kann
man sich die Interaktion von Virus und menschlicher Zelle wie den
Besuch des Virus in einem Restaurant vorstellen: Der Gast – das Virus –
hat zunächst nur Kontakt mit dem Kellner. Aber dann geht der Kellner in
die Küche, gibt die Bestellung an den Koch weiter, und das Virus bekommt
wieder eine Antwort, in diesem Fall das Essen, das wiederum auf das
Virus wirkt. Je nachdem, welche Proteine in der menschlichen Zelle –
heißt: Kellner, Koch, Küchenhilfen, und andere – auf welche Proteine des
Virus treffen, kann die Infektion und Immunreaktion ganz
unterschiedlich ausfallen.
„Wegen dieser gegenseitigen
Beeinflussung der Protein-Protein-Verbindungen gibt es in unserer
systematischen Kontaktkarte eine Reihe potenzieller neuer Zielstrukturen
für Medikamente“, sagt Falter-Braun. Eine erste Substanz konnten die
Wissenschaftler bereits in ihrer Wirkung bestätigen: Das menschliche
Protein USP25 wird rekrutiert, um bestimmte virale Prozesse zu fördern
und seine Hemmung wiederum reduziert die Vermehrung des Virus deutlich.
"Viele
der Technologien und Kooperationen in dieser Studie wurden eigentlich
für andere Zwecke entwickelt und dann schnell auf die COVID-19-Pandemie
umgestellt. Das unterstreicht den Wert von Investitionen in die
Grundlagenforschung", sagt Dr. Dae-Kyum Kim, einer der Hauptautoren, der
diese Arbeit am Sinai Health (Toronto) begann und sie als
Assistenzprofessor am Roswell Park Comprehensive Cancer Center
fortsetzte. Dazu mussten die Wissenschaftler:innen zunächst einigen
Aufwand betreiben und neueste Technologie einsetzen, denn das Erstellen
der Kontaktkarte war für das internationale Team phasenweise wie das
Lösen eines riesigen Puzzles: Die Wissenschaftler:innen haben
systematisch die Reaktionen von rund 30 viralen Proteinen – darunter das
bekannte Spike-Protein – mit jeweils etwa 17.500 menschlichen Proteinen
in sogenannten Assays untersucht und dargestellt. Das ergibt rund
450.000 Kombinationen, die sie untersucht haben. Von Hand hätten sie das
niemals in der kurzen Zeit geschafft. „Wir haben beim Präparieren der
einzelnen Platten mit jeweils mehreren Assays auf Robotik
zurückgegriffen, so dass jeweils eine Proteinart mit einer anderen
automatisch gepaart wurde. Und die erste Auswertung, ob Interaktionen
vorliegen oder nicht, haben wir von einem Computerprogramm mit
künstlicher Intelligenz durchführen lassen“, so Falter-Braun.
Ein
solches Mammut-Projekt erforderte eine Teamleistung: "Von
molekularbiologischen Methoden über die computergestützte Analyse von
Netzwerken und Proteinbereichen bis hin zu Fachkenntnissen in Virologie
und angeborener Immunität haben wir interdisziplinär
zusammengearbeitet", sagt Falter-Braun. "Unser Fachwissen in der
Virus-Wirt-Interaktomik in Verbindung mit der Biologie von RNA-Viren
ermöglichte es, die Abhängigkeit des Virus von direkten Wirtspartnern zu
bewerten", ergänzt Caroline Demeret vom Institut Pasteur.
Der
Aufwand, so glauben die Forscher:innen, hat sich gelohnt: Die
Kontaktkarte soll der wissenschaftlichen Gemeinschaft als Plattform
dienen, um einzelne Interaktionen eingehender zu untersuchen und ihre
Auswirkungen auf molekulare Mechanismen und den klinischen Verlauf zu
verstehen und so Ansatzpunkte für neue therapeutische Möglichkeiten
aufzudecken.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.helmholtz-munich.de/newsroom/news/artikel?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=1701&cHash=feda49d319778cc480dfb1bcc9051e37
Quelle: Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH) (10/2022)
Publikation:
Kim
et al. (2022): A proteome-scale map of the SARS-CoV-2 human contactome.
Nature Biotechnology. DOI: 10.1038/s41587-022-01475-z
Mittwoch, den 12. Oktober 2022 um 04:19 Uhr