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Dienstag, den 09. Mai 2017 um 14:20 Uhr

Was alte Weisstannen-DNA über die Wälder der Jungsteinzeit verrät

Mit einer neuen Methode lässt sich Erbmaterial aus subfossilen* Pflanzen- und Tierresten kostengünstig analysieren. Damit haben die Entwickler des Verfahrens der WSL und der Universitäten Lausanne und Bern die DNA von Weisstannennadeln in Tessiner Seesedimenten untersucht. Sie fanden Hinweise darauf, wie die Wälder auf den Beginn des Ackerbaus reagierten.

Das neue Verfahren nutzt die jüngsten Fortschritte der DNA-Technologie, um alte DNA (abgekürzt aDNA) aus prähistorischen Pflanzen und anderen Lebewesen zu isolieren. Die bisher dafür verwendeten Methoden sind jedoch teuer. Weil Populationsgenetiker für verlässliche Aussagen oft mehrere Dutzend Proben brauchen, seien viele Forschungsideen derzeit gar nicht finanzierbar, sagt Nadir Alvarez, Professor am Departement für Ökologie und Evolution an der Universität Lausanne.

Dem Forscherteam um Alvarez und seinen Kollegen Christoph Sperisen, Populationsgenetiker der WSL, Willy Tinner, Professor für Paläoökologie an der Universität Bern und Sarah Schmid, Biologin an der Universität Lausanne ist es nun gelungen, eine kostengünstige Alternative zu entwickeln und deren Potential an subfossilen Weisstannennadeln im Origliosee (TI) zu demonstrieren. Die Resultate präsentierten sie im Fachjournal Methods in Ecology and Evolution.
Die Nadel im Heuhaufen

Mit subfossilem Erbmaterial zu arbeiten, ist eine Herausforderung: „aDNA ist oft zerstückelt, chemisch beschädigt und mit Erbmaterial von Bakterien und Pilzen verunreinigt“, erklärt Sperisen. „In den Proben aus den Seesedimenten stammt beispielsweise nur jedes Hundertste DNA-Molekül von Weisstannen.“ aDNA zu extrahieren gleicht deshalb der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Bisher gewannen Forscher die aDNA, indem sie chemisch hergestellte Gegenstücke der DNA-Abfolge zur Probenlösung gaben. Denn DNA besteht aus zwei Strängen mit einer quasi spiegelbildlichen Abfolge von Bausteinen, die sich aneinanderheften. An die hergestellte DNA befestigten sie winzige Metallkügelchen. Wenn sich die künstliche DNA mit der aDNA verbindet, kann das Ganze mit einem Magneten herausgefischt werden.

Die DNA von Pflanzen und Tieren besteht allerdings bis zu über 90 Prozent aus Abschnitten ohne bekannte Funktionen – wie ein Rezeptbuch mit überwiegend leeren Seiten. Dies nutzt die neue, HyRAD-X genannte Methode: Sie stellt nicht den gesamten DNA-Strang her, sondern nur die exprimierten Gene, also jene Abschnitte, welche die Anleitung für den Bau eines Proteins enthalten. Neu ist, dass diese Abschnitte mithilfe eines Enzyms erzeugt werden. Damit sinken die Kosten für eine aDNA-Analyse etwa um den Faktor zehn. Da jedes Staubkorn fremde DNA enthält, braucht es für diese Arbeiten ein Reinluftlabor, wie es die WSL seit dem Bau des neuen Nationalen Pflanzenschutzlabors besitzt.
Steinzeitwälder am Origliosee

Mit der neuen Methode untersuchten die Forscher die genetische Vielfalt von Weisstannen vor und während dem Beginn der Landwirtschaft am Origliosee. Der Paläobotaniker Tinner fand in den Bohrkernen der Seesedimente Holzkohleablagerungen sowie Pollen von Getreide und eingeschleppten Unkräutern, die auf erste bäuerliche Aktivitäten vor etwa 7‘500 bis 5‘000 Jahren hinweisen. Dabei sind alle wärmeliebenden Weisstannenbestände des Tessins in der zweiten Hälfte des Holozäns ausgestorben, heute wachsen in diesen Lagen Edelkastanien.

Die Resultate zeigen: Der Weisstannenbestand schrumpfte mit dem Ackerbau und damit auch dessen genetische Vielfalt. Vor etwa 6‘200 Jahren erholte sich sowohl der Bestand als auch dessen Vielfältigkeit des Erbguts wieder. „DNA-Vergleiche von unterschiedlich alten Weisstannen verdeutlichen, dass sich der heimische Bestand von selbst genetisch wieder regenerierte und nicht Weisstannen aus anderen Regionen hinzukamen“, sagt Sperisen.

Genetische Vielfalt spielt eine Schlüsselrolle darin, wie gut eine Population mit Umweltveränderungen umgehen kann: Eine hohe genetische Vielfalt erhöht deren Chance, sich beispielsweise an ein trockeneres Klima anzupassen. Zu verstehen, wie sich Ökosysteme früher von menschlichen Eingriffen genetisch erholten, gibt Aufschlüsse darüber, wie sie auf den globalen Klimawandel und die heutigen Landnutzungsänderungen reagieren könnten. Deshalb wollen die Forscher die HyRAD-X Methode nun auch bei anderen fossilen Pflanzenproben anwenden, um beispielsweise zu klären, ob die ausgestorbenen, wärmeliebenden Weisstannenbestände im Tessin besondere genetische Eigenschaften hatten, die unter wärmerem Klima von Bedeutung sein können.

Die WSL eröffnete 2015 ein Reinluftlabor, worin Forschende unter Überdruckbedingungen arbeiten, damit weder Pollen, Staub noch sonstige Verunreinigungen ins Labor gelangen. Anhand subfossiler Materialien von Pflanzen und Tieren führen Populationsgenetiker DNA-Analysen durch, um Einblicke in vergangene Ökosysteme zu gewinnen. Das Reinluftlabor befindet sich im Nationalen Pflanzenschutzlabor, das die WSL gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt BAFU und dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW errichtete.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.wsl.ch/medien/news/Alte_DNA/index_DE

Quelle: Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL (05/2017)

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