Strömungsmechanische Analysen der TU Wien beantworten eine alte Frage: Wie kommt es zum sogenannten „Teapot-Effekt“?
Der „Teapot-Effekt“ wurde schon vielen blütenweißen Tischtüchern zum Verhängnis: Wenn man eine Flüssigkeit zu langsam aus einer Kanne ausgießt, dann kann es passieren, dass sich der Flüssigkeitsstrom nicht sauber von der Kanne löst und seinen Weg in die Teetasse findet, sondern stattdessen entlang der Kanne nach unten rinnt.
Seit Jahrzehnten wird dieses Phänomen wissenschaftlich untersucht – nun gelang es einem Forschungsteam der TU Wien mit einer aufwändigen theoretischen Analyse und zahlreichen Experimenten, den „Teapot-Effekt“ vollständig und detailliert zu beschreiben: Ein Zusammenspiel verschiedener Kräfte sorgt für eine minimale Benetzung direkt an der Kante, und sie reicht aus, um unter bestimmten Bedingungen den Flüssigkeitsstroms umzuleiten.
Ein Effekt mit langer Geschichte
Erstmals beschrieben
wurde der „Teapot-Effekt“ von Markus Reiner im Jahr 1956. Reiner
promovierte an der TU Wien im Jahr 1913 und emigrierte dann in die USA,
wo er zu einem wichtigen Pionier der Rheologie wurde – der Wissenschaft
vom Fließverhalten. Immer wieder gab es Versuche, diesen Effekt präzise
zu erklären. Arbeiten zu diesem Thema wurden 1999 mit dem satirischen
„IG-Nobel-Preis“ ausgezeichnet. Nun schließt sich der Kreis, indem der
Teapot-Effekt an Reiners Alma Mater, der TU Wien, erneut unter die Lupe
genommen wurde – von einem Team rund um Dr. Bernhard Scheichl, Dozent am
Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung und Key Scientist
am Österreichischen Exzellenzzentrum für Tribologie (AC2T research
GmbH), in Kooperation mit dem Department of Mathematics am University
College London.
„Obwohl es sich um einen ganz alltäglichen und
scheinbar simplen Effekt handelt, ist es bemerkenswert schwierig, ihn im
Rahmen der Strömungsmechanik exakt zu erklären“, sagt Bernhard
Scheichl. Entscheidend ist die scharfe Kante an der Unterseite des
Teekannen-Schnabels: Dort bildet sich ein Tropfen, die Stelle direkt
unterhalb der Kante bleibt stets benetzt. Die Größe dieses Tropfens
hängt davon ab, mit welcher Geschwindigkeit die Flüssigkeit aus der
Kanne fließt. Wenn eine bestimmte Geschwindigkeit unterschritten wird,
kann dieser Tropfen dafür sorgen, dass der gesamte Strahl um die Kante
herum gelenkt wird und an der Teekanne nach unten abfließt.
„Uns
ist es nun erstmals gelungen, eine vollständige theoretische Erklärung
dafür zu liefern, warum sich dieser Tropfen bildet und die Unterseite
der Kante immer benetzt bleibt“, sagt Bernhard Scheichl. Die Mathematik
dahinter ist kompliziert – es handelt sich um ein Zusammenspiel aus
Trägheit, viskosen und kapillaren Kräften. Die Trägheitskraft sorgt
dafür, dass die Flüssigkeit die Tendenz hat, ihre ursprüngliche Richtung
beizubehalten, die Kapillarkräfte hingegen bremsen die Flüssigkeit an
der Schnabeloberfläche ab. Das Zusammenspiel dieser Kräfte ist die
Grundlage des Teapot-Effekts. Allerdings sorgen die Kapillarkräfte
dafür, dass der Effekt nur ab einem ganz bestimmten Kontaktwinkel
zwischen Wand und Flüssigkeitsoberfläche auftritt. Je kleiner dieser
Winkel ist oder je hydrophiler (also benetzbarer) das Material des
Schnabels ist, umso stärker wird die Ablösung der Flüssigkeit vom
Schnabel gebremst.
Tee im Weltraum
Interessanterweise
spielt die Stärke der Schwerkraft im Verhältnis zu den anderen
auftretenden Kräften dabei keine entscheidende Rolle. Die Schwerkraft
legt bloß die Richtung fest, in die der Strahl gelenkt wird, ihre Stärke
ist für den Teapot-Effekt aber nicht entscheidend. Beim Teetrinken auf
einer Mondbasis wäre der Teapot-Effekt also auch zu beobachten, auf
einer Raumstation völlig ohne Schwerkraft hingegen nicht.
Die
theoretischen Berechnungen zum Teapot-Effekt publizierte das
Forschungsteam im September 2021 im Fachjournal „Journal of Fluid
Mechanics“. Nun wurden auch noch Experimente durchgeführt: Mit
unterschiedlichen Durchflussraten wurde Wasser aus einer geneigten
Teekanne gegossen und mit Spezialkameras gefilmt. So konnte man genau
zeigen, wie die Benetzung der Kante unterhalb einer kritischen
Ausgussgeschwindigkeit zum „Teapot-Effekt“ führt, die Theorie wurde
somit bestätigt.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.tuwien.at/tu-wien/aktuelles/news/news/warum-teekannen-immer-tropfen
Quelle: Technische Universität Wien (11/2021)
Publikation:
B.
Scheichl, R.I. Bowles and G. Pasias, Developed liquid film passing a
smoothed and wedge-shaped trailing edge: small-scale analysis and the
‘teapot effect’ at large Reynolds numbers, J. Fluid Mech., 926
https://www.cambridge.org/core/journals/journal-of-fluid-mechanics/article/developed-liquid-film-passing-a-smoothed-...